Wo, bitte geht’s zum Untergang?

Karikatur: Klaus Suttmann

Wer die Geschichte der Sozialdemokraten der letzten 150 Jahre einigermaßen gut kennt weiß, daß sie immer dann erfolgreich waren, wenn es ihnen gelang, politisch-gesellschaftliche Bündnisse mit liberalen, bürgerlichen Kräften zu bilden. Das war in der Weimarer Demokratie nicht anders als in der Bonner oder Berliner Demokratie. Dennoch ist schon seit einiger Zeit viel die Rede von einem „Linkskurs“, der die Sozialdemokraten wieder erfolgreich machen soll oder muß. Wie soll der „Linkskurs“ aussehen?

Betrachten wir die Hauptstadt-SPD einmal als Linkslabor. Hier soll die Bündnisstrategie für eine linke Stadtpolitik exemplarisch durchgeführt werden. Das ist der Anspruch. Und die Wirklichkeit? Schauen wir uns mal zwei Entscheidungen des letzten Landesparteitages von Ende März 2019 an: Die Ablehnung der (Wieder-) Verbeaumtung von Lehrern und das Verbot für die Bundeswehr, an Schulen zu Informationsveranstaltungen zu besuchen.

Klassenkampf

Mit der Lehrerverbeamtung sind zwei Stichworte verbunden: Privilegien und Sparen. Zum einen sollen alle Lehrer gleich behandelt werden. Und in den Leherzimmern soll es keine „Zweiklassengeslleschaft“ von Beamten und Nicht-Beamten geben. Also ist das Ziel der Linken, Lehrer als Angestellte zu beschäftigten. Begründet wurde dieses Vorgehen 2004 durch den Wowereit-Senat. Mit dem Argument, daß Beamte einfach teurer seien, wurden Lehrer nicht mehr verbeamtet. Im Ergebnis wurde jene „Zweiklassengesellschaft“ geschaffen, gegen die die Parteitagsmehrheit nun polemisierte.

In der wirklichen Wirklichkeit fehlen auch im ach so attraktiven Berlin sehr viele Lehrer, die Quote der als Lehrer nicht ausgebildeten Quereinsteiger bei ist sehr hoch, liegt irgendwo zwischen einem Drittel und der Hälfte. Manch Quereinsteiger ist eine echte Bereicherung und vermag es, die Schüler anzusprechen und zu begeistern. Doch wäre eine pädagogische Ausbildung für die fachlich oft überdurchschnittlich qualifizierten Quereinsteiger sicher hilfreich. Jedenfalls hat die Bildungsverwaltung festgestellt, daß Berlin jedes Jahr einige Hundert Lehrer verliert, weil die Interessenten dort nicht verbeamtet werden. Eine Lehrerinitiative hat im Februar und im März auch über 800 Unterschriften von Kollegen gesammelt, die erklärten, aus den Berliner Schulen weggehen zu wollen, wenn sich die SPD nicht zur Verbeamtung durchringen mag. Sogar der zuständige Fachausschuß für Bildung der SPD Berlin hat sich im Vorfeld des Parteitages für die Wiedereinführung ausgesprochen. Der Parteitag ließ sich nicht von den Notwendigkeiten der Realitäten überzeugen. Na ja, wenn man durch die Reihen schaut, bekommt man den Eindruck, daß nicht viele der Delegierten noch Kinder im Schulalter haben. Wenn man Glück hat, trifft man auch einen, der sich ein wenig wie Karl M. – dem aus dem 19. Jahrhundert! – kostümiert, um zu zeigen, wie weit links man in der Gegenwart leben kann. Fehlt nur noch eine, die sich wie Rosa L. …

Spaß beiseite. Wie soll ich Eltern, die ja auch Wähler sind, erklären, daß wir nicht alles unternehmen, um den Lehrermangel in der Stadt zu verringern? Daß Sozialdemokraten stattdessen Lehrer aus Berlin vergraulen und eine „Zweiklassengesellschaft“ in den Lehrerzimmern pflegen und hegen? Der Eingeweihte weiß: Wenn ein verbeamteter Lehrer aus Brandenburg nach Berlin kommt, bleibt er auch in Berlin Beamter. Die Zweiklassengesellschaft wird also weiter existieren, weil immer neue Beamte nach Berlin (zurück-) kommen. Einstweilen freut’s die Brandenburger, denen es vergleichsweise leicht fällt, Lehrer anzuwerben. Sie verbeamten nämlich.

Das war also das erste Thema, mit dem die Hauptstadt-SPD durch ideologisch gefestigtes Handeln überzeugte.

Die pazifistische Flucht: Ohne mich!

„Wir sind ja wohl für Antimilitarismus und Abrüstung!“, mit diesem Argument hat die Vorsitzende der Hauptstadt-Jusos die Mehrheit des Parteitages auf ihrer Seite. Der dann mit einer 2/3 Mehrheit beschließt: „Für Töten und Sterben macht man keine Werbung. Daher fordern wir den sofortigen Stopp aller Werbemaßnahmen militärischer Organisationen an deutschen Grund- und Oberschulen.“ Im Jahr 2015 seien 8.100 Vorträge an Schulen gehalten worden, von – und nun noch eine Erfindung militärischer Dienstbezeichnungen – „Jungoffizier(inn)en“. Da staunt das Publikum und ist erleichtert, daß jede Tendenz zum Wehrkundeunterricht entschlossen bekämpft wird.

Doch auch damit zeigen die linke Sozialdemokraten, daß sie nicht aus ihrer rosa Lilifee-Welt herauszutreten gewillt sind. Nicht nur, daß die Bundeswehr sich krass von schießwütigen Militaristenhaufen unterscheidet und eine wichtige Funktion in unserem demokratischen Staat hat, wird hier ganz offen schlicht ignoriert. Wie unser Staat aufgebaut ist und welche Rechte das Grundgesetz welchen Institutionen gibt, das ist für die Befürworter des Parteitagsbeschlusses offenbar nicht von Belang. Es fehlt auch an politischem Realismus und dem Bewußtsein, daß die Zeiten der „Friedensdividende“, in der man ungestraft über Geopolitik, Militär, Kriegsgefahr, Bedrohung und hybride Kriegsführen nicht nachzudenken brauchte, endgültig vorbei sind. Die Zeiten sind vorbei, mittlerweile ist es von Nachteil, wenn die Bundeswehr nur bedingt einsatzbereit ist, weil die Bedrohungslage wieder konkret ins Auge zu fassen ist, die NATO-Partner und europäischen Nachbarn Erwartungen an uns richten. Erwartungen, die von uns einen Beitrag zu Frieden und Sicherheit fordern, der weit über den Horizont der rosa Wolken hinausreichen und die uns herausfordern, ob wir das nun schön finden oder wollen. Im Donbaß sterben Menschen, im Baltikum zittern sie immer wieder. Doch so weit reicht die internationale Solidarität nicht.

Ich habe es selbst erlebt, wie die Solidarität zum eigenen pazifistischen Gewissen wichtiger war und schwerer wog als die Einsicht, daß man den jesidischen Kindern und Frauen im Sindschar-Gebirge konkret und robust helfen mußte, um sie zu retten. Wenn z.B. eine „linke“ SPD Pazifistin als Wahlkreiskandidatin unterstützt und aufgestellt wird, die sich der unbequemen Verantwortungsübernahme in internationalen Konflikten verweigert, auch auch dort, wo sie als Parlamentarier helfen könnte. Dann wird es einfach a-politisch und unmoralisch. Weltflucht eben.

VEB Sachsenring leuchtet in der Zukunft!

Anfang Mai 2019 stellte der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert – auch er kommt aus Berlin – die Forderung auf, die „Überwindung des Kapitalismus“ durch die Vergesellschaftung oder Kollektivierung von Großunternehmen wie BMW zu betreiben. Damit war ihm der Applaus der ganz LINKEN sicher, denen das Godesberger Programm als einer von vielen Sündenfällen der Sozialdemokraten erscheint. Auch manch ein anderer fragte sich, zu welcher politischen Partei der Juso-Vorsitzende denn nun gehöre. Die SPD der Zeit nach dem Godesberger Programm hat sich dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft verschrieben, das durch Sozialpartnerschaft, Mitbestimmung, Tarifautonomie und Verantwortung der gesellschaftlichen Akteure geprägt ist und von der Staatsgläubigkeit der Linken ein gutes Stück weit abgerückt ist. Sie hat das Privateigentum als eine Grundlage des Wirtschaftens akzeptiert und erkannt, daß durch eine breite Streuung von Aktienbesitz und durch viele Kleinaktionäre die Vergesellschaftung schon erstaunlich weit vorangeschritten ist. Umverteilung geschieht durch das Steuersystem und eine Erbschaftssteuer, beispielsweise. Auf diesen Gebieten lohnt es sich für sozialen Ausgleich zu kämpfen. Da braucht man nicht gleich in die sozialdemokratische Urzeit zu fallen und den Klassenkampf propagieren. Auch sollte man die Errungenschaften der liberalen demokratischen Revolution der Zeit um 1848 nicht so einfach aufgeben, sondern immer den oder die Einzelne in das Zentrum der Politik stellen, seine und ihre Verantwortung, seine und ihre Möglichkeiten, ein Leben selbstbestimmt und ohne große Not gestalten zu können. Nicht das Kollektiv ist die Bezugsgröße für unsere auf dem Grundgesetz aufgebaute Gesellschaft, sondern der einzelne Bürger, die Bürgerin. Ausgerechnet mit der Partei-Jugend zurück in die Vergangenheit? Wo doch unsere geschichtliche Erfahrung zudem auch noch zeigt, daß kollektivistische Gesellschafts- und Menschenexperimente wie der Sozialismus fast zwangsläufig zu Unfreiheit, Mangel und Not führen?

Noch verwunderlicher, und genaugenommen der Kardinalfehler von Kühnerts linkspopulistischen Parolen, ist doch die Prioritätensetzung in den Themen. Sozialistische Phrasen vernebeln die Sicht auf Themen, die Jugendliche wirklich und existentiell bewegen. Und das sehen wir seit Wochen mit Verwunderung: Der Klimawandel ist das erste politische Problem, das wir angehen müssen. Das bringt sozialdemokratische Weltbilder durcheinander, in denen der Kohle-Kumpel noch die Hauptrolle spielt.

Mit solchen, wie den hier geschilderten Aktionen wird die Sozialdemokratie bestenfalls in eine Konkurrenz mit den ganz LINKEN treten, diesen aber kaum Wähler abjagen. Der Untergang der Sozialdemokratie wie wir sie seit über 150 Jahren kennen, wartet hinter der Linkskurve. Zumindest für die Zeit seit 1918 läßt sich sagen, daß die Sozialdemokraten immer dann gesellschaftliche Mehrheiten bilden konnten, die es erlaubten, sozialdemokratische Politik Wirklichkeit werden zu lassen, wenn es ihnen gelang Brücken zu bürgerlichen Wählergruppen zu schlagen, die tragfähig waren. Wer diese Brücken nicht baut, oder gar zerstört – siehe oben – kämpft um den Erhalt seiner rosa/roten Traumwelt. Nicht jedenfalls um einen realen Erfolg.

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