
Natürlich müssen Führungspersonen überzeugen. Aber noch mehr die politischen Ideen, für die sie stehen. Und die sollten nicht zu abstrakt oder gar nebulös sein. Und diese Ideen sollten eine enge Verbindung zu jenen Themen und Problemen haben, die einen großen Teil der Bürger bewegen. Dann steht dem politischen Erfolg nichts mehr im Wege, wie die SPD in Zeiten von Willy Brandt und Gerhard Schröder erfahren konnte.
Die Parteivorsitzende hat sich zurückgezogen, weil sie den Eindruck gewonnen hatte, daß sie von der Mehrheit eher ertragen als getragen wurde. Tragisch ist das Ende einer engagierten Sozialdemokratin, die Machtwillen und Ehrgeiz besaß und es als erste Frau an die Spitze der Sozialdemokratie schaffte. Die sozialdemokratisierten Konservativen hatten das schon ein paar Jahre früher geschafft.
Es ist leicht, die Gründe und Defizite des Scheiterns zu beschreiben. Es reicht offenbar nicht, nur innerparteiliche Mehrheiten hinter sich zu haben, es reicht nicht aus, eine „gewiefte Gremienpolitikerin“ (Tagesspiegel, 31. Mai 2019) zu sein, es reicht nicht aus, zu wollen. Man muß auch überzeugen, und das vor allem die Wählerinnen und Wähler und nicht nur die Funktionäre. Und das mit den richtigen Ideen in der richtigen Reihenfolge. Wir haben das „Führen durch Ideen“ genannt. Heutzutage reicht es bekanntlich nicht mehr aus, so zu führen wie das im wilhelminischen Kaiserreich oder in der kommunistischen DDR üblich war (den Führerstaat könnte ich auch erwähnen). Auch funktioniert das von manchem Linken noch insgeheim favoritisierte Modell des demokratischen Zentralismus (in der Regel) nicht mehr.
Wer führen will, muß wagen, in’s Offene zu gehen und Ideen und Impulse zur Debatte stellen. Es muß deutlich werden, wohin es gehen soll. Und deswegen müssen die strategischen Ziele klar formuliert werden, aus denen jeder Wählerin und jedem Wähler deutlich wird, wie die Gesellschaft in Deutschland und Europa in fünf oder zehn oder fünfzehn Jahren aussehen soll. Erst wenn die strategischen Ziele, die sich auf die am Meisten relevanten politischen Probleme beziehen, deutlich geworden sind, ist es erfolgversprechend, sie kleinteilig auf verschiedene Lebenslagen hin zu formulieren. Aber, so könnte man einwenden, haben wir doch alles so gemacht! Lies‘ doch mal im Bundestagswahlprogramm nach! Ja, das haben wir doch getan, gelesen und eine Fülle von sinnvollen oder interessanten Forderungen gefunden. Aber was ist das strategische Konzept? „Mehr Gerechtigkeit wagen“? Bleibt viel zu abstrakt und unkonkret. Vor allem hat es keiner gewagt, die virulenten Konflikte anzusprechen, die sich um den Klimawandel und den Wandel zur Einwanderungsgesellschaft entwickeln. Hier zeichnet es sich ab, daß sich unsere Lebenswirklichkeit start ändern wird. Unklar ist nur, ob gut oder schlecht gestaltet. Also erwarten wir vom Führungspersonal intellektuelle Klarheit und Mut.
Was wir jetzt an Stelle von Führung haben ist ein Interregnum durch ein Triumvirat. So hätte man’s früher genannt, wenn es drei Männer (vir (lateinisch) – Mann) sind. Abgesehen von der Schwierigkeit, einen richtigen Namen für die Konstruktion zu finden, ist die Botschaft: Wir machen das jetzt gemeinsam, aber keiner von uns will es wirklich. So wie im Bundestagswahlkampf: Wählt uns, aber regieren wollen wir eigentlich nicht. So ein Subtext wäre weder Willy Brandt noch Hans-Jochen Vogel im Wahlkampf (oder sonst wo) untergekommen. Also erwarten wir vom Führungspersonal einen klaren Willen zur Verantwortungsübernahme, einen Willen zur Macht und zur Gestaltung. (Und wir erwarten von der Partei, daß sie mitmacht und nicht gleich mit Links den Dolch zückt.)
Wer Führen will, sollte Reden können. Reden im Sinne einer konzentrierten auf ein Ziel hin formulierter Ansprache des Gegenübers. Das Gegenüber will ernst genommen werden und argumentativ überzeugt und emotional gewonnen werden. Das ist meine Überzeugung. Ich bin klar gegen alles, was an Manipulation oder Demagogie grenzt. Also ist ein gerüttelt Maß an Seriosität notwendig, die sich nicht auf Anzug oder Kostüm und andere Äußerlichkeiten beschränken sollte. Auch die Sprache ist wichtig. Sehr wichtig, wie schon die alten Griechen und die Römer erkannt haben. Wer mich jedoch in einer infantilen und schnodderigen Sprache anspricht, der sollte nicht unbedingt erwarten, daß er mich überzeugen könnte oder davon, daß er ernsthaft mit seiner Verantwortung – die er hat oder anstrebt – umzugehen in der Lage ist. Wir erwarten vom Führungspersonal also eine seriöse und verantwortungsbewußte Ansprache und Kommunikation – auf allen Kanälen. Ich finde, daß Führungspersonal auch in soweit Stehvermögen beweisen sollte, daß es nicht mit jeder Mode und Bewegung mitgeht.
Die entscheidende Frage beim Führungspersonal (auch beim Aufstellen von Wahlkreiskandidaten im Übrigen) lautet: Wer überzeugt nicht nur uns jetzt, sondern auch die Wählerinnen und Wähler, die jetzt noch nicht wissen, daß wir sie gewinnen können?
