Nochmal: Ostpolitik. Europa.

Bild: nto.pl (Archiv)

Neulich haben wir uns schon einmal mit der Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr beschäftigt. Die beiden wollten nach Warschau und mußten damals über Moskau reisen. Zuerst wurde der Moskauer Vertrag im August 1970 abgeschlossen, dann der Warschauer Vertrag im darauffolgenden Dezember.

Polen spielte im außenpolitischen Denken vieler SPD-Anhänger damals eine große Rolle. Es war bewußt, welche Verbrechen die Deutschen in nationalsozialistischer Zeit auf polnischem Boden verübten. Vielleicht war nicht allen all das bekannt, was wir heute nach Jahrzehnten intensiver historischer Forschung wissen. Es war jedoch eine klare Haltung, sich den entsetzlichen Verbrechen zu stellen und auch die politischen Folgen anzuerkennen. Das führte die SPD und ihre Anhänger in eine deutliche Frontstellung gegen die Vertriebenenverbände und die jene Verbände unterstützenden Unionsparteien. Die Konflikte mit den Vertriebenenverbänden damals hatten auch zur Folge, daß vielen Sozialdemokraten die Verbesserung der Beziehungen zu Polen wichtig wurden, viele engagierten sich dann in den von ihnen neu gegründeten Deutsch-Polnischen Gesellschaften.

Heute ist von einem besonderen Engagement der SPD im Hinblick auf Polen nichts mehr zu bemerken. Ganz im Gegenteil, aus einer Geschichtsvergessenheit und gewissen Realitätsblindheit gepaart mit einer illusionären Weltsicht gibt es viele, die eine sehr unkritische Haltung gegenüber Rußland einnehmen und die Staaten und Gesellschaften, die zwischen Deutschland und Rußland liegen, schlicht ignorieren. Dabei wird fröhlich übersehen, daß der polnische Markt für Deutschland eine große Bedeutung hat. Für deutsche Firmen ist er wichtiger als der russische, spanische oder japanische Markt. Ein Viertel des deutschen Osthandels (mit Ländern des östlichen Mitteleuropas, Südosteuropas, der Kaukasusregion, Mittelasiens und der Eurasischen Wirtschaftsunion) läuft mit Polen. Wieso also diese Rußland-Fixiertheit vieler Sozialdemokraten? Nur, weil wir hier einen Angestellten von Putin in der SPD haben? Oder wegen irgendeiner Revolutionsromantik? Oder gar aus Liebe zum Imperialismus?

Die Staaten zwischen Deutschland und Rußland sind vielfach seit einigen Jahren Mitglieder in der Europäischen Union und es gibt unzählige gesellschaftliche und wirtschaftliche Verbindungen zwischen uns und ihnen. Doch in der nichtvorhandenen sozialdemokratischen Konzeption zur Außenpolitik spielen diese keine Rolle. Dabei sollte Polen eine ähnliche Wertigkeit zugemessen werden wie Frankreich. Auch und gerade in Zeiten, in denen die polnische Regierung eine eher ablehnende und konfrontative Haltung gegenüber Deutschland einnimmt, sollten wir als Sozialdemokraten definieren, was wir mit unseren Nachbarn im Osten gemeinsam haben und gemeinsam machen wollten.

Was hindert uns daran, offensiv Kontakte  zu unseren östlichen Nachbarn zu suchen und zu pflegen? Wir können uns dabei nicht völlig frei aussuchen, mit wem wir über politische Fragen sprechen wollen. Die polnischen Sozialdemokraten sind auf mikroskopische Größe geschrumpft, also können wir unsere Kontakte nicht auf die SLD beschränken. Das polnische politische Spektrum ist mehrheitlich konservativ, liberale und linke Parteien spielen schon seit Jahren keine große Rolle mehr. Dennoch wäre es spannend, einen politischen Dialog mit einer Gesellschaft zu führen, in der 47% der Bevölkerung für eine verstärkte Integration der EU sind, und 56% für den Aufbau einer europäischen Armee.

Der Dialog mit dem Osten sollte unbedingt eingebunden sein in einen Dialog mit dem Westen. Das leider auf symbolische Aktionen geschrumpfte „Weimarer Dreieck“ Frankreich – Deutschland  – Polen wäre das Format, um in einem kleineren Zirkel eine Ostpolitik als Europapolitik zu formulieren. Dabei in Fortentwicklung der Brandt’schen Konzeption die Aussöhnung zur nachbarschaftlichen engen Kooperation werden zu lassen. Wir können das anstreben, auch wenn die Regierung in Warschau derzeit darüber recht verwundert sein dürfte. Der Wandel durch Annäherung ging ja schon viel weiter als Egon Bahr sich das in seiner Tutzinger Rede vorstellen konnte. Nun ist Kooperation im gegenseitigen Respekt möglich und gefragt.

Wenn wir in der SPD die außenpolitischen Überlegungen allein dem Bundesminister des Auswärtigen überlassen, werden wir schwerlich ein für die Wähler interessantes außen- oder europapolitisches Profil entwickeln können. Warum nicht wenigstens einen Dialog mit Frankreich uns Polen als unseren direkten Nachbarn pflegen, auch um solchen Selbsttäuschungen zu entgegen, wie jener des Juso-Vorsitzenden? Der hatte bekanntlich behauptet, in der Flüchtlingspolitik einen europäischen Konsens zu wollen und dabei schlicht übersehen, daß im Hinblick auf die Flüchtlingspolitik sich Deutschland in einer starken Minderheitenposition befindet. Warum machen wir europapolitische Fragen nicht stärker zum Gegenstand unserer Diskussionen? Wollen wir das alles wirklich ein paar Mandatsträgern überlassen, die sich punktuell einmal äußern? Nur dann, wenn wir uns eine einigermaßen klare Vorstellung von gemeinsamer Politik mit unseren Nachbarn und mit den EU-Mitgliedern gemacht haben, können wir für Wähler attraktiv werden. Da helfen uns ein paar Spiegelstriche im Europa-Wahlprogramm nicht weiter. Die sind zumeist zu oberflächlich und zudem haben wir da allzuoft die relevanten Fragen augelassen.

Heute heißen sie:

Wie reagieren wir deutlicher als bisher gemeinsam auf den Klimawandel? Welche Auswirkungen hat das auf die Agrarpolitik, die Verkehrspolitik, Energiepolitik etc.? Das wäre spannend zu diskutieren mit Polen, das auf Steinkohle setzt und Frankreich, wo die Atomenergie nach wie vor groß ist.

Wie gestalten wir die europäische Außenpolitik effektiver und wirkungsvoller?

Wie kann die Freizügigkeit innerhalb der EU erhalten bleiben?

Wie soll sich die europäischen Außenwirtschaftspolitik weiterentwickeln? Wie bewerten wir denn heute den Widerstand gegen TTIP und CETA vor dem Hintergrund einer Aufkündigung einiger GATT-Spielregeln durch die USA?

Wie kann eine europäischen Verteidigungspolitik aussehen angesichts der amerikanischen Unzuverlässigkeit und des russischen imperialen Ausgreifens?

Wie wollen wir die Eurozone weiterentwickeln und stabil halten angesichts der Haushaltsrisiken in vielen EU-Ländern? Wie halten wir es denn nun konkret mit den Vorstellungen von vergleichbaren Lebensverhältnissen in der EU? Wie weit geht die Solidarität? Wie weit reicht die Selbstverantwortung? Spannend zu diskutieren mit Polen, die dem EURO nicht beitreten wollen und gleichzeitig ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ablehnen.

Ich bin überzeugt, wenn wir diese Fragen und vielleicht noch ein paar mehr diskutieren, dann wird uns und unseren potentiellen Wähler deutlich, wie wichtig die EU-Politik für uns alle ist und demzufolge auch klar, wofür wir stehen. Momentan ist das nicht so klar.

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