Zum Beispiel: Ziele für Brandenburg.

Sozialdemokratische Politik in schwieriger Lage

Vorbemerkung: In den Bundesländern Brandenburg und Sachsen fanden Anfang September 2019, genau am 1. September, dem Jahrestag des Überfalls auf Polen 1939, Landtagswahlen statt. Sie brachten Verluste für die stärksten Regierungsparteien und erschreckende Gewinne für die Partei des autoritären Nationalradikalismus. Die politische Generalaufgabe besteht nun darin, die Bürger zu demokratischem Engagement zu motivieren und ihnen auch wieder eine konkrete lokale Gestaltungskompetenz zu geben. Der Arbeitskreis Polen der SPD Brandenburg wirbt seit Jahren dafür, die Kooperation zwischen Brandenburg und Polen als strategisches Element der Landesentwicklung anzusehen und konkret auszubauen. Er hat nun in Anbetracht des Wahlergebnisses nicht nur gefordert, das einstimmig vom Landesparteitag beschlossene Konzept der Nachbarschaftspolitik umzusetzen, sondern den Blick etwas geweitet. Es nützt nichts, sinnvolle politische Ziele zu formulieren, wenn ein Teil der Gesellschaft aus der Demokratie zum nationalen Autoritarismus wegdriftet. Als ein Beispiel, wie Sozialdemokraten in der Verantwortung für die Landespolitik diskutieren könnten, folgt nun das Thesenpapier des AK Polen der SPD Brandenburg vom 8. September 2019:

Die Beobachtungen der letzten Jahre und die Bewegungen in der politischen Landschaft führen uns zu der Überlegung, daß die künftige Landesregierung sich sinnvollerweise einige strategische Felder vornehmen sollte, aus denen deutlich wahrnehmbar hervorgeht, daß sich die Landespolitik wirklich nicht nur in einer Fortschreibung von Bestehendem erschöpft. Es sollen einige Ziele benannt werden, die die politische Entwicklung des Landes strategisch leiten können. Sie bewegen sich auf der strategischen Ebene, weil die vielen notwendigen Details auf der taktischen oder alltagspraktischen Ebene oft für die Öffentlichkeit nicht sehr leicht nachvollziehbar sind. Wichtig ist immer die Sichtbarkeit für die Wähler und nicht nur für Spezialisten der politischen Administration, die sehr auf die Details zu achten gewohnt sind. Deswegen sind in den Aktionsfeldern einige Aktivitäten geclustert und mit griffigen Überschriften versehen.

1. Alle Macht den Dörfern.
Eine Kommunalreform, die den Kommunen ein Maximum an Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten (wieder) gibt. Die Verantwortungsübernahme muß auf kommunaler Ebene stärker werden, die kommunalen Akteure sollen Erfahrungen von Selbstwirksamkeit machen und Gestalter des eigenen Lebensumfeldes sein.
Begründung: Die Kommunal- und Gebietsreformen haben offenbar vielfach nicht die erhofften Einspareffekte mit sich gebracht (Ifo Institut Dresden und Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim 2016), dafür aber “substantielle politische Kosten” durch den Verlust von Eigenständigkeit. Eigenständige Dörfer/Gemeinden entwickeln sich besser als uneigenständige. Selbstverantwortung und Eigenständigkeit sind hochwirksame Mittel gegen Verdruss und Demokratieablehnung in den Kommunen.
Zudem: Wer AfD-Wählern über die Jahre zugehört hat (oder ihre Äußerungen gelesen hat), bekam immer wieder den Eindruck, dass diese Leute meinten, keinen Einfluss mehr auf ihr Wohnumfeld zu haben und nur Objekte politischen Handelns zu sein. Dieses Gefühl wird auch durch die Auswirkungen der Gebiets- und Kommunalreformen der letzten Jahre gefördert.
Noch ein statistisches Argument: In jenen Wahlkreisen, in denen in den letzten Jahren die Zahl der Wähler zurückging (als Indiz für rückläufige Entwicklungen in der Region), ist die AfD am erfolgreichsten. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Schrumpfprozessen in der Region und Erfolgen der AfD. Dagegen hilft nur, die Verantwortung zumindest für einen Teil der lokalen Entwicklungen (wieder) auf der lokalen Ebene zu verankern. Dann kann auch deutlich werden, daß es Veränderungsprozesse gibt, denen wir alle ausgesetzt sind und nicht allein Aktionen der zentralen Landesregierung die Veränderungen bewirken, die als gegen die Regionen oder Dörfer gerichtet empfunden werden.

2. Eine demokratische Schule für die Zukunft unserer Kinder.
Bildungspolitik sollte sich auf die Qualitäten von Schule richten, die pädagogische Qualität allen voran. Schulen brauchen dazu mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung, weniger zentrale Steuerung.
Zudem brauchen wir eine politische Diskussion über die Frage, was ist Bildung heute und morgen? Welche Bildung ermöglicht sozialen Aufstieg und sichert wirtschaftlichen Erfolg? Wir wollen ein Feld sozialdemokratischer Kernkompetenz neu definieren und politisch zurückerobern.
Begründung: Bildungspolitik ist sehr viel mehr als nur für das Vorhandensein von Lehrern zu sorgen. Die Eltern interessiert sehr, ob die Schule gut ist, es den Kindern dort gut geht und sie das lernen, was sie – die Kinder – für ein erfolgreiches Leben brauchen. Diese Erwartungen wurden in den letzten Jahren kaum diskutiert. Die Schulen via Digitalpakt mit Technik aufzurüsten, ist die eine Sache. Eine andere ist aber, Antworten auf die Frage zu finden, was die Technik im Hinblick auf pädagogisches Handeln und Lernkonzepte sinnvollerweise ermöglicht. Hier Antworten zu finden, ist ungleich komplexer.
Es gibt eine Anzahl von Instrumenten, die Schulen qualitativ zu verbessern, die aber von den Ländern wenig und kaum systematisch eingesetzt werden (anzusehen sind die Instrumente bei der Deutschen Schulakademie und dem Deutschen Schulpreis). Die Ergebnisse von den Schulentwicklungsprozessen überzeugen i.d.R. die beteiligten Lehrer, Schüler und Eltern. Warum das nicht zum Ansatz für eine erfolgreiche Bildungspolitik des Landes machen?
Selbstverantwortung von Schule und Elemente des Konzeptes Demokratische Schule (vgl. BLK Projekt “Demokratie leben und lernen”, 2002-2006) sind heute umso mehr notwendig, als autoritäre und nationalistische Vorstellungen wieder weit Raum greifen. Auch hier ist die Selbstwirksamkeitserfahrung das pädagogische Zentrum für die Demokratie-Bildung in der Schule.
Zudem: Schule ist die erste Integrationsinstanz der deutschen Einwanderungsgesellschaft, das gilt auch für Brandenburg. Hier sollen die Werte unserer demokratischen Gesellschaft eingeübt, erfahren und gelebt werden. Hier muss die Integration einer zunehmend vielfältigeren Gesellschaft gelingen, damit sie außerhalb von Schule auch selbstverständlich werden kann.

3. Strukturwandel: Chancen für uns Heute und Zukunft für unsere Kinder.
Das Ende des Carbon-Zeitalters bringt das Ende der Kohleförderung in Lausitz, Mitteldeutschland und Rheinland mit sich, das ist sinnvoll, notwendig und beschlossen. Insbesondere im Interesse unserer Kinder und Enkel sollten wir diesen Prozess aktiv und sozial gestalten. Geld ist da, Ideen werden wir gemeinsam entwickeln.
Begründung: Wir müssen hier zuversichtlicher agieren und das den Kopf-in-den-Sand-stecken und die Ignoranz gegenüber dem Klimawandel klar als solches benennen. Wie können wir die vom Wandel betroffenen Leute gewinnen und Ihnen deutlich machen, dass sie an einem wichtigen Zukunftsprojekt mitwirken? Mitwirken müssen…
Berlin und Umland: Die gemeinsame Landesplanung sollte unbedingt weiterentwickelt werden. Berlin wächst, die Pendlerströme wachsen. Die ganze Infrastrukturplanung soll mutig und zukunftsorientiert diskutiert und vorangetrieben werden.
Begründung: Zumindest in einem Teil der Öffentlichkeit werden die Aspekte gelingender gemeinsamer Planung mit Berlin kaum oder nicht wahrgenommen. In der Tat ist die Planung aber oft auch kleinteilig und z.B. im Hinblick auf den Ausbau des ÖPNV auch etwas zu mutlos. Wenn wir wachsende Blechlawinen vermeiden wollen, müssen wir gemeinsam mit Berlin hier offensiver planen und auch gegenüber dem BMVI selbstbewusster auftreten und deutlich machen, dass es nicht angehen kann, dass der größte Teil des Einzelplan 12/Bundeshaushalt in Bayern ausgegeben wird.

4. Nachbarschaftspolitik: Hier beginnen wir die europäische Kooperation
Die Zusammenarbeit mit Polen soll endlich so weit ausgebaut werden, dass möglichst alle Potentiale genutzt werden. Das betrifft die Ebenen der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Regierung bzw. Administration. Die Förderung – politisch und materiell – dieser Zusammenarbeit soll ein besonderes Merkmal der Politik der neuen Landesregierung sein. Es soll in der Landesregierung eine Person geben, die für die aktive Kooperation in den zu pflegenden und auszubauenden Netzwerken in Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik steht. Politische Inhalte werden am erfolgreichsten durch Personifizierung verdeutlicht und vermittelt.
Begründung: Die Zusammenarbeit mit Polen und polnischen Partnern ist ein strategisches Element der Landesentwicklung. Dies wird deutlich durch eine sichtbare Verantwortung für diesen Arbeitsbereich in der Landesregierung – wie im vom Landesparteitag 2018 einstimmig beschlossenen Konzept dargestellt. Neben der Unterstützung der wirtschaftlichen Kooperation ist auch eine Unterstützung auf zivilgesellschaftlicher Ebene notwendig und sinnvoll, auch um die Nachbarn einander näher zu bringen. Es soll immer selbstverständlicher werden, mit polnischen Partnern zusammenzuarbeiten und auch zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu unternehmen. Mit dem Konzept soll jene Politik konkretisiert und unter den gegenwärtigen Verhältnissen weiterentwickelt werden, die Willy Brandt vor Jahrzehnten begonnen hat.

Diese vier strategischen Felder sind so formuliert und systemisch zusammengedacht, dass einerseits häufig kommunizierte Problemlagen aufgegriffen werden und andererseits ein Gestaltungswille seitens der Landesregierung deutlich werden kann. Sie sind hoffentlich hinreichend konkret skizziert, denn den Wählern müssen sie möglichst handfest dargestellt werden können. Mit abstrakten Zielen wie “Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse” würde man weniger argumentieren, weil die administrative Definition dieser Vokabel nicht den Erwartungen entspricht, die viele Wähler damit verbinden. Wichtig ist es aber, sowohl Fern- als auch Nahziele zu bestimmen und in der politischen Diskussion zu benennen. So werden wir überzeugen können.
Wolfram Meyer zu Uptrup Enrico Triebel

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