Die SPD – oder zumindest Teile von ihr – fordern den Abzug von rund 20 Atomsprengköpfen aus Deutschland, die dort im Rahmen der NATO von den USA gelagert sind. Sie sollen eine taktische atomare Bedrohung seitens Rußlands ausbalancieren. Und nun sollen sie weg, um aus Deutschland eine atomwaffenfreie Zone zu machen.
Die Idee einer „Atomwaffenfreien Zone“ faszinierte die Linke seit Jahrzehnten. Auch ich war von dieser Idee begeistert, nicht zuletzt, weil sie zuerst im Jahr 1957 von von Adam Rapacki, damaligem Außenminister von Polen, im sogenannten „Rapacki-Plan“ vorgeschlagen wurde. Nur war damals Polen eine Provinz des sowjetischen Imperiums. Und leider war der Plan einer demilitarisierten Zone von Deutschland, der DDR und Polens, die später auch noch die Tschechoslowakei umfassen sollte, nur ein später Ausdruck der Stalin’schen Politik mit dem Ziel, Deutschland aus der Westbindung herauszulösen. Also hatte die Sache einen Pferdefuß.
Im den Jahren des Protestes gegen die Nachrüstung, das war also 1980ff., spielte die Idee einer atomwaffenfreien Zone eine wichtige Rolle. Die Idee war einfach zu schön. Denn es war damals allen klar, daß im „Verteidigungsfall“ alles zerstört wurde, was man verteidigen wollte in Deutschland und drumherum. Darum setzte man der Logik der abgestuften Vernichtung die Logik der atomwaffenfreien Zone oder atomwaffenfreien Welt entgegen. Das funktioniert jedoch nur, wenn alle mitmachen und ehrlich sind. Dieses wiederum war damals bei den Sowjets und heute bei den Russen nicht uneingeschränkt der Fall.
In den Jahren nach 1980 mußte ich lernen, daß es nicht nur bei der Abschreckung Paradoxa gibt, sondern auch bei der Abrüstung. Die Idee, zunächst aufzurüsten, um dann kräftig abzurüsten, hat dann funktioniert. Der INF-Vertrag verbannte im Jahr 1957 hatte Beseitigung aller land- und seegestützten Mittelstreckenraketen zwischen 500 km und 5500 km Reichweite zur Folge. Also sogar mehr, als der Traum einer atomwaffenfreie Zone versprach. Mit diesem Vertrag war auch eine zentrale Bedingung erfüllt, die die Friedliche Revolution in Polen, der DDR und anderen Sowjet-Satellitenstaaten ermöglichte. Für mich war das eine Lektion in Politik.
Und nun fällt der Fraktionsvorsitzende im Bundestag und der Co-Vorsitzende der SPD ganz atavistisch wie Linke eben so sind, in die Muster des vergangenen Jahrhunderts zurück. Mit manchen Ideen fällt die Linke ja sogar zwei Jahrhunderte zurück, aber damals gab es noch keine Atomwaffen.
Im konkreten Falle stellte sich Rolf Mützenich gegen die Pläne der Verteidigungsministerin, die neue Kampf-Flugzeuge kaufen möchte, die auch künftig Atombomben befördern können, wie das mit den derzeit vorhandenen möglich ist. Das ist langjährige Praxis im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ in der NATO. Mützenich aktiviert das Pazifismus-Gen, das Anti-Amerikanismus-Gen und das Weltflucht-Gen im deutschen Genom, um eines politischen Vorteils gegen die Konservativen willen. Mit denen er zusammen regiert auf Basis eines Koalitionsvertrages, in dem genau diese „nukleare Teilhabe“ vereinbart ist. Dazu paßt, daß der Alt-Kanzler und Jetzt-Rußland-Lobbyist Gerhard Schröder fordert, wegen des Vernichtungskrieges 1941-1945 und der aktuellen Corona-Krise die Sanktionen gegen Rußland aufzuheben.
Es ist bewundernswert, wie alte und junge Politiker Realitäten von Geschichte und Politik ausblenden können, in diesem Fall um „linke“ Politik zu machen. Mützenich strebt offenbar an, die Positionen der Ganz Linken Partei zu klonen, in der Hoffnung… ja auf was? Strategischer Fehler ist wieder, durch Anverwandlung an die Ganz Linken die Konkurrenz am linken Rand zu vergrößern und bei allen anderen Wählergruppen zu verlieren. Vielleicht gelingt es damit, die Ganz Linke Partei unter die 5% zu drücken, aber um den Preis, daß dann die SPD deren Position mit +/- 10% am linken Rande des politischen Spektrums einnehmen kann. Vielleicht hat Mützenich ja auch noch eine persönliche Motivation in diesem Thema stecken, denn schließlich hat er 1991 über das Thema „Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik“ promoviert. Die Universität Bremen stellte jedoch fest, daß Mützenichs Promotionsschrift und seine Diplomarbeit in Teilen textidentisch seien. Deswegen führte der Promotionsausschuss eine Untersuchung durch, die freilich zu dem Ergebnis kam, daß ein Verstoß gegen die Prüfungsordnung nicht vorliege, da die damals geltende Promotionsordnung die Verwertung einer Diplomarbeit in der Doktorarbeit nicht ausschließe, was heute jedoch der Fall sein würde.
Aber der Punkt ist, daß sich Mützenich mit dem Thema atomwaffenfreier Zonen intensiv auseinandersetzte und ihm offenbar bis heute daran gelegen ist. Doch wäre es überzeugender, wenn ihm an der Betrachtung der Wirklichkeit ebenfalls gelegen wäre. Dazu gehört die Erkenntnis, daß die Alliierten und mit ihnen die Sowjetunion zwar Europa vom Nationalsozialismus befreiten, wofür wir ihnen ehrlich dankbar sind, jedoch die durch die Sowjetunion befreiten Länder nach der Befreiung eben keine Freiheit hatten. Sondern unter die Satelliten des sowjetischen Imperiums einsortiert wurden. Von dieser Unfreiheit konnten sie sich erst in den Jahren 1989-90 befreien. Der Nachfolgestaat der Sowjetunion, Rußland, garantierte im Budapester Memorandum 1994 dann u.a. die Souveränität und die Grenzen der Ukraine zu achten, was Rußland nicht daran hinderte, 2014 die Krim zu besetzen und zu annektieren. Zudem einen Krieg in der Ostukraine zu beginnen, Konflikte, die bis heute andauern. Damit hat Rußland unter Einsatz von Gewalt, seit 1945 zum ersten Mal, in Europa Grenzen verschoben. Krieg in Europa hielten wir vordem für ausgeschlossen. Zudem gibt es noch einige von Rußland gesteuerte eingefrorene Konflikte, in Süd-Ossetien, Georgien, Armenien. Alles in allem keine politischen Aktionen, die Friedfertigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu zeigen in der Lage sind. Von der Intervention in Syrien und der aktiven Beteiligung an den völkerrechtswidrigen Aktionen und Kriegsverbrechen ganz zu schweigen.
Ein friedlicher, verläßlicher russischer Partner, den Mützenich wie Schröder antizipieren, ist bei nüchterner Betrachtung nicht erkennbar. Eher eine imperiale Macht, die dort einmarschiert, wo ein Machtvakuum entstanden ist und wo es nicht sehr risikoreich ist, hineinzustoßen.
Rußland hat verschiedene Rüstungsbegrenzungsabkommen gekündigt oder handelt ihnen durch Aufrüstung krass zuwider. Dieses Politik gefährdet uns in Europa und Menschen in anderen Teilen der Welt existentiell und sehr viel mehr als die aktuelle amerikanische Politik. „Die SPD-Führung sollte klarstellen: Selbst eine von Trump verhunzte Demokratie und Weltmacht steht Deutschland näher als Putins Rußland oder Xis China.“ (Christoph von Marschall) Auch wenn es immer noch deutsche Politiker gibt, deren Rapallo-Gen für eine Ost-Blindheit sorgt.
Wie wirkt die russische Politik auf unser europäischen Nachbarn? Die baltischen Staaten sind von der Truppenpräsenz östlich ihrer Grenze, die nur in Teilen von Rußland völkerrechtlich anerkannt ist, nicht gerade beruhigt. Auch Grenzverletzungen und übergriffige Militärmanöver registrieren sie häufig und mit Sorgen. Sie erwarten von uns und den anderen Europäern einen wirksamen Beistand gegen einen Überfall, durch den sie binnen einiger Stunden überrollt werden könnten. Auch Polen ist nach der zweimaligen Besetzung des Landes 1941 und 1944 durch den großen östlichen Nachbarn sehr auf seine Unabhängigkeit und Sicherheit bedacht. Diese Länder zählen auf Europa, auf uns. Und wie wird es bei ihnen ankommen, wenn wir Rußland stärken, ohne daß die Sicherheit für alle erhöht wird? Sondern im Gegenteil das Aggressionspotential unangetastet bleibt und die Bedrohung erhöht?
Es geht nicht darum, Europa zu schwächen, sondern zu stärken. „Trump zwingt Europa zur verstärkten Verteidigung seiner eigenen Sicherheit“. (Joschka Fischer) Wo sich die Grünen real um die Sicherheit Europas bemühen und realpolitisch positionieren, schwirren Sozialdemokraten ab in den rosa Nebel der Linken. Heute sind wir in einem Zielkonflikt zwischen dem historisch bedingten Pazifismus und der Sicherheit Europas. Wir sind als Deutsche heute gefragt, im Rahmen der Westbindung gemeinsam mit den Partnern in NATO und EU die Sicherheit Europas zu gewährleisten und uns dafür mehr zu engagieren als in der Vergangenheit. Nach den Grundsätzen: „Niemals mehr allein! Niemals ohne Europa! Niemals außerhalb des Westens!“
Nachtrag: Die erfreuliche Spannbreite der Meinungen zur Sicherheitspolitik innerhalb der SPD wird deutlich in einem (Streit-) Gespräch zwischen der Pazifistin Dr. Ute Finckh-Krämer und Dr. Fritz Felgentreu, MdB, Obmann im Verteidigungsauschuß des Bundestages. Welche Argumentation man als aus-der-Zeit-gefallen und welche als das Wahrnehmen von Verantwortung in unübersichtlichen Zeiten, das möchte ich gerne dem Betrachter überlassen.
[ AIRBUS DEFENCE AND SPACE INTERNAL ]
Lieber Wolfram
Danke für Deinen Beitrag!
Deine Position (ohne die innere Diskussion in der SPD zu kommentieren) teile ich.
Es war selten gut, langfristige auÃenpolitische Interessen abhängig zu machen von kurzfristigen innenpolitischen Erwägungen (selbst wenn Menschen überall dieser Versuchung immer wieder erliegen).
Und es ist bedrückend zu sehen, wie wenig die Interessen und Sorgen unserer unmittelbaren Nachbarn in solchen Diskussionen eine Rolle spielen.
Hier kann man sehr wohl Verständnis haben, wenn Polen oder Balten nur ein begrenztes Zutrauen in die Verlässlichkeit ihrer deutschen Bündnispartner haben.
Viele GrüÃe
Johannes
THIS DOCUMENT IS NOT SUBJECT TO EXPORT CONTROL.
LikeLike