Kevin Kühnert empfiehlt…

 

Kühnert
Kevin Kühnert, Berlin 4. Mai 2018 (c.) W. Meyer zu Uptrup

zu lesen: Die Studie „Rückkehr zu den politisch Verlassenen. Gespräche in rechtspopulistischen Hochburgen in Deutschland und Frankreich“ (Studie Progressives Zentrum) ist geeignet Ansatzpunkte für künftige Erfolge der SPD aufzuzeigen. Jeder Sozialdemokrat solle diesen Text lesen, meinte Kühnert.

Sag es mit Karl Marx!

Interessanterweise empfahl er nicht, die Nase wieder ins Kapital von Karl Marx zu stecken. Das wäre ein naheliegender Hinweis, jetzt wo wir seinen 200sten Geburtstag feiern. Dessen Grundeinsicht, daß nicht wir unser Sein nicht selbst bestimmen, nicht einmal jemand es bestimmt, sondern etwas, könnte man leicht auf die Disruptionen des digitalen Zeitalters beziehen. Der Kontrollverlust des Individuums, ein zentrales Motiv Marx’schen Denkens (nicht unbedingt marxistischen Denkens!), beschäftigt uns in existentieller Form auch heute. Im Hinblick auf die heutige Konsumwelt kann man ihm auch leicht folgen, wenn er vom „Doppelcharakter“ der Waren spricht. Keine Frage, in der globalen und globalisierten Ökonomie sind Tausch- und Gebrauchwert von Waren entkoppelt.Erfahren wir uns nicht als Verursacher einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle wir stehen, statt sie zu kontrollieren?

Ist der von Marx im „Maschinenfragment“ 1857 beschriebene maximale Kontrollverlust nicht schon längst eingetreten im Zeitalter von Datenkonzernen, die viel mehr über uns wissen als jemals Stasi und KGB? Erleben wir nicht heute gerade die Entmachtung der Bürger, ihrer gewählten Parlamente und ihrer Regierungen durch anonyme internationale profitorientierte Kräfte?

Nein, auf all dieses spielte Kevin Kühnert nicht an, sondern auf das Lebensgefühl von Menschen, die in Regionen wohnen, in denen die deutsche AfD und die französische FN überdurchschnittliche Erfolge im letzten Jahr erzielte. Gemeinsam ist in beiden Ländern, daß diese Menschen in erster Linie das Gefühl haben, daß die Politik die falschen Prioritäten setzt. Sie nehmen die Bewältigung der Flüchtlingskrise und außenpolitisches Engagement nicht als grundsätzlich falsch wahr, aber vermissen stark politische Anstrengungen und Investitionen an ihrem Lebensort. Sie wollen Unterstützung in ihrem Lebensalltag hinsichtlich des steigenden ökonomischen Drucks auf Geringverdiener und auf Lücken in der alltäglichen Daseinsvorsorge von der Erreichbartkeit von Ärzten, Ämtern, Kindergärten, Schulen oder Einkausfsmöglichkeiten. Viele der Befragten glauben, daß Gesellschaftsräume entstanden sind, aus denen die Politik sich zurückgezogen hat, und sie in dieser Verlassenheit lebten. Hier, in die Räume der Verlassenheit, seien Parteien wie AfD oder FN dann vorgestoßen. Beide Parteien mobilisierten einen erheblichen Teil ihrer Wähler in sozioökonomisch schlechter gestellten Gebieten.

Was kann ein Sozialdemokrat hieraus lernen?

  1. Die Erfolge der AfD sind für Sozialdemokraten Hinweise auf politische Probleme, die viele Menschen bewegen, die von uns und anderen Parteien aber nicht angemessen berücksichtigt worden sind. Diese Probleme sollten wir uns einmal näher anschauen.
  2. Die Wähler der AfD sind offenbar nicht in ihrer Mehrheit Rechtsextremisten, Rassisten oder Neonazis. Wir müssen hier mutig differenzieren.
  3. Der Antifa-Reflex führt in die Irre. Er ist zwar geeignet, einen Teil der SPD-Mitglieder und Funktionäre zu mobilisieren, spaltet aber und lenkt von den politischen Problemen und den Problemlösungsansätzen ab. Wie schon immer, seit seiner Erfindung durch das Exekutivkommitee der Komintern (EKKI) vor bald 100 Jahren.
  4. Ein erheblicher Teil der AfD-Wähler entspricht dem soziologischen Profil eines SPD-Stammwählers. Um deren Belange sich zu kümmern, ist ein erfolgversprechender Ansatz.
  5. Die gefühlte Ressourcenkonkurrenz zwischen den Kosten der Migration und den Anforderungen nach Unterstützung von sozial Benachteiligten ist das Hauptmotiv für viele Wähler von AfD (und FN).
  6. Nicht zu unterschätzen ist ferner der Wunsch dieser Menschen nach Sicherheit, nicht nur sozialer Sicherheit, insbesondere auch vor Kriminalität. Der Ansatz für die SPD liegt darin, soziale, innere und äußere Sicherheit politisch zusammenhängend zu denken und sich nicht nur in Teilsegmenten zu bewegen.
  7. Was diese Menschen von der Politik erwarten: Sie solle sich für ihre Situation interessieren und effektiv für Verbesserungen einsetzen und nicht auf die Oppositionsbank legen.

Eines aber sollte jedenfalls Kevin Kühnert aus seiner empfohlenen Lektüre gelernt haben: #NoGroKo bestärkt die von der SPD enttäuschten Wähler, die SPD folgt dem Auftrag ihrer Nicht-Wähler und begibt sich in die Zone der politischen Irrelevanz. Oder: Dem Nicht-Wählerauftrag zu folgen, ist das Ende der SPD.

Kommentar verfassen

Bitte logge dich mit einer dieser Methoden ein, um deinen Kommentar zu veröffentlichen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..