Sozialdemokratische Bildungspolitik?


Wie kann die Bildungspolitik den Bildungserfolg und den sozialen Aufstieg heute fördern?

Die PISA 2000-Studie hat deutsche Bildungspolitik in eine Krise gestürzt, die noch nicht überwunden ist. Die OECD als Initiator von PISA hatte ein Interesse daran, den Zusammenhang zwischen schulischer Bildung und ökonomischem Erfolg herauszustellen. Die deutsche Bildungspolitik antwortete auf PISA mit einer Standardisierung, der Kompetenzorientierung und zentralen Vergleichsarbeiten, sowie der Einrichtung von Ganztagsschulen.

Wenn wir nun die empirische Wende nach dem PISA-Schock als neoliberalen Einfluß verstehen, nach dem Erfolge meßbar sein müssten und am Ende eines Prozesses ein quantifizierbares Resultat zu stehen hätte, dann sollten wir uns umso mehr bewußt machen, daß Bildung nicht nur wesentlich mehr ist als von den standardisierten Tests erfaßt wird und daß Bildung weitere Ziele anstrebt, die weit über den PISA-Horizont hinausreichen. Das betrifft insbesondere alle Bildungsziele und Werte, die für das Funktionieren einer modernen demokratischen Gesellschaft konstitutiv sind, als da wären Gewaltfreiheit, Interessenausgleich, Rücksichtnahme und Empathie, Partizipationsbereitschaft, Demokratie, Fragen der Gerechtigkeit, Rechtstaatlichkeit, Geschichte, Kunst und kultureller Reichtum. Diese Werte und Ziele von Bildung sind in sich begründet und bedürfen keiner materiell-funktionalen Herleitung. Demzufolge soll Bildungspolitik den ganzen Menschen in seiner Individualität und in seiner gesellschaftlichen Eingebundenheit in den Blick nehmen.

Bildung und Schule in den Wahlprogrammen der SPD

Wenn die Deutschen danach gefragt werden, welche Kompetenzen sie bei den Parteien besonders ausgeprägt sehen, dann wird seit Jahren der SPD das Thema “Bildung” ganz weit vorne benannt. Das rührt sicher noch aus den Erfahrungen der Bildungsoffensive der 1970er Jahre, als es den Sozialdemokraten gelang, einen erheblich größeren Teil eines Jahrganges den Weg zum Abitur zu eröffnen als das in den 1960er Jahren der Fall war. Damit ermöglichte die SPD sozialen Gruppen einen gesellschaftlichen Aufstieg, denen das zuvor kaum möglich war. Sie unterstützte damit ebenfalls emanzipatorische Prozesse in der Gesellschaft, die ohne eine Hebung des Bildungsniveaus nicht möglich waren, wie auch den Wandel von einer Industriegesellschaft in eine Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft.

Natürlich stellt sich die Frage, welche Politik die SPD für diese dem Arbeiter- und Unterschichtmilieu entstiegenen Menschen nun machen möchte. Der gesellschaftliche Aufstieg war gelungen, der politische Auftrag der SPD erfüllt. Die Arbeiterschicht durch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel stark geschrumpft. Infolgedessen auch die Stammwählerschaft der SPD…

Im Folgenden soll es weniger um die Frage gehen, ob der durch sozialdemokratische Politik geförderte gesellschaftliche Aufstieg das Individuum dann in ein anderes politisches Lager befördert, sondern mehr darum, wie das Aufstiegsversprechen als Kern sozialdemokratischer Politik unter den aktuellen Bedingungen der deutschen Einwanderungsgesellschaft verwirklicht werden könnte.

Bildungspolitik ist im föderalen System der Bundesrepublik eine Angelegenheit der Länder, die ihre einzelnen Maßnahmen im Rahmen der Kultusministerkonferenz abstimmen und koordinieren. In den Jahren nach dem PISA-Schock, als sich herausstellte, dass das deutsche Bildungssystem bei weitem nicht so gut war, wie alle Beteiligten wähnten, investierten der Bund und die Länder in den Ausbau von Ganztagsschulen.[1] Die Länder strebten eine Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse an durch die Umstellung der Lehrpläne vom Unterrichtsstoff auf Bildungsstandards und auf Prüfungen, deren Aufgaben aus einem gemeinsamen Aufgabenpool kommen. Das führte zwar zu einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse in verschiedenen Bundesländern, weniger aber zu der Frage, warum diese Ergebnisse ziemlich konstant in manchen Ländern einfach besser und in anderen schlechter sind. Interessanterweise zeigen Leistungsvergleiche seit vielen Jahren, dass gerade in sozialdemokratisch regierten Ländern die Ergebnisse schlechter waren als die von unionsregierten Ländern.

Natürlich hatte die Umstellung auf Bildungsstandards und Prüfungen mit gemeinsamen Aufgaben auch Auswirkungen auf die Gestaltung des Unterrichtes. Dazu sind mir noch keine Forschungen bekannt, jedoch zeichnet sich eine Tendenz ab, in der ein Lernen für die Prüfung – teaching to the test – vorherrschend wird und die Freiheit der Lehrer, Lernprozesse in weiten Spielräumen zu gestalten, spürbar eingeengt wurde.

Auf der programmatischen Ebene will die SPD vieles, was sinnvoll ist und was ihrem Selbstverständnis entspricht, wie Entlastung der Eltern von den Bildungskosten. Von Kindergarten bis zum ersten Berufsabschluß – Studienabschluß oder Lehre – soll es keine Gebühren mehr geben. Somit soll allen „gleiche Bildungschancen“ gegeben werden. „Gute Bildung“ ist gebührenfrei.

Gute Schulen bräuchten gute Vorgaben (gute Unterrichtskonzepte) und engagierte Lehrer, die ihre Schüler individuell förderten. Schulen müßten hervorragend ausgestattet sein, damit dort guter Unterricht möglich werden könne.

Deswegen möchte die SPD durch ein Schulmodernisierungsprogramm in die Modernisierung und Ausstattung von Schulen investieren und die Ganztagsschulen ausbauen. Nur in modernen Ganztagsschulen könnten Kinder und Jugendliche ihre Begabungen entfalten, ohne durch ihre Herkunft gehemmt zu sein (vgl. Impulse der Programmkommission, 2017, S. 11. Ähnlich auch das Regierungsprogramm 2017, Wahlprogramm Berlin 2016 u.a.m.).

Interessant ist, daß den Basiskompetenzen Lesen, Rechnen und Schreiben auch digitale Kompetenzen zugerechnet werden, um einer sozialen und „digitalen Spaltung“ vorzubeugen.

Letztere sollten auch in allen Lernvorgaben verankert werden.

Ganztagsschulen sind zentral für die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.

Auch die Berufsschulen werden nicht vergessen, sie sollen mit einem „Berufsschulpakt“ bauliche und technologische Verbesserungen finanziert bekommen. Das „duale Abitur“ solle gefördert werden (Berlin 2016).

Wir wollen die Grundschule darin unterstützen, durch systematische Schulentwicklung

und eine stärkere Kooperation innerhalb der Schule die Qualität des Unterrichts zu verbessern. (Berlin 2016)

Um für das Lehramtsstudium ausreichend junge Menschen zu gewinnen, auch verstärkt mit Einwanderungshintergrund, werden wir neue Modelle und finanzielle Anreize zur Aufnahme und Gestaltung des Studiums entwickeln. (Berlin 2016)

Auch im Wahl- und Regierungsprogramm 2017 standen viele anstrebenswerte Ziele, wie ein Schulmodernisierungsprogramm des Bundes, der Ausbau guter Ganztagsangebote, ein Ausbau der Schulsozialarbeit. Der Verbesserung der Unterrichtsqualität soll allerdings nur eine begleitende Bildungsforschung dienen, was allen, die die Details der Entwicklung der letzten 15 Jahr kennen, als kaum ausreichend und etwas problematisch erscheint. Auch die Ankündigung neuer Bildungsstandards für den Umgang mit digitalen Medien ist ambivalent anzusehen.

Auffällig ist:

  1.    Die Überzeugung, daß eine materielle Verbesserung der Rahmenbedingungen schon zur Verbesserung der Situation an den Schulen bzw. der Lernerfolge der Schüler führen würde.          
  2.    Zentral sind materielle Aspekte für die Eltern und die Schulträger, die für die Ausstattung der Schulen zuständig sind.     
  3.    Bildung wird verstanden als ein Prozeß, in dem eine Verbesserung der Vorgaben (Lehrpläne etc.) und Ressourcen schon per se zu einer Verbesserung der Chancengleichheit und des Bildungserfolges führt.      
  4.    Der immense Lehrermangel in allen Ländern wird nur ansatzweise reflektiert.
  5.    Materielle Anreize sollen den Lehrermangel beheben helfen.
  6.    Die Qualität des Unterrichts oder die Qualifikation der Lehrer wird kaum thematisiert.
  7.    Nicht angesprochen werden die Auswirkungen auf den Alltag der Kinder und Jugendlichen: Zunehmend verplante Kindheit, Einschränkung von Freiheitsräumen zugunsten von „Bildung“.

Fraglos ist seit dem „PISA-Schock“ im Jahre 2000 viel passiert in der Bildungspolitik, sprich Schulpolitik: Die Schulstrukturen wurden verändert, es gibt verpflichtende vorschulische Sprachtests, eine bessere Gestaltung des Übergangs vom Kindergarten zur Grundschule, eine flexible Schuleingangsphase, eine externe Schulvisitation, ein Zentralabitur, Verpflichtende Lehrerfortbildungen, Schulprogramme als Grundlage des Lebens und Lernens an den Schulen, mancherorts gibt es das Instrument der Lernzielvereinbarung mit Schülern und das Sitzenbleiben ist abgeschafft. In den letzten Jahren war so viel Bewegung im Schulbereich, daß in Landtagswahlen das Versprechen eines „Schulfriedens“ schon sehr viel Zustimmung brachte.

Das Ziel von Bildungspolitik? Sozialer Aufstieg.

Das generelle Ziel sozialdemokratischer Bildungspolitik ist, mehr Kinder und Jugendliche zu besseren schulischen Leistungen und Ergebnissen heranzuführen (und die Quote der Schüler ohne Abschluß zu senken). Dazu ist nun mit der Offensive zum Ausbau von Ganztagsschulen seit 2003 zunächst einmal ein neuer schulischer Rahmen geschaffen worden. Die damit verbundene Hoffnung lag darin, durch eine ganztägige Bindung an den Lernort Schule insbesondere Kinder aus bildungsfernem und eher prekärem Lebensumfeld besser zu fördern und somit ihre beruflichen Chancen zu verbessern (natürlich sollte auch aus emanzipatorischen und wirtschaftlichen Gründen erleichtert werden, daß in einer Familie beide Eltern einer Erwerbsarbeit nachgehen können, bzw. müssen). Die Verbesserung der beruflichen Chancen der „PISA-Risikogruppen“ ist, nach mehr als 10 Jahren Erfahrung, sicherlich an vielen Orten gelungen, die Schulabbrecherquoten sanken auch. An vielen anderen Stellen blieb die Entwicklung jedoch hinter den Erwartungen zurück. Das lag häufig daran, daß es vielfach am Personal fehlte, um die ambitionierten Ziele auch wirklich zu erreichen. Ganztagsschulen brauchen mehr Personal für ihre multiprofessionellen Teams und mehr „Stunden“ für den Unterricht und die Durchführung eines sinnvoll strukturierten Schultages bis in den Nachmittag. Das kostet einfach mehr Geld, als derzeit zur Verfügung steht. Und Ganztagsschulen brauchen auch etwas mehr konzeptionelle Klarheit: Offener oder gebundener Ganztag? Also freiwillige Teilnahme am Nachmittagsprogramm oder Anwesenheit für alle von morgens bis nachmittags? Die Antwort hat enorme Auswirkungen auf die Möglichkeiten, die der einzelnen Schule für ihre pädagogische Arbeit zur Verfügung stehen. Notwendig ist nun eine politische Diskussion, wohin und wie sich die Schulen qualitativ entwickeln sollen, letztlich alle Schulen, denn nur knapp 60% aller Schulen sind als Ganztagsschulen anzusprechen.

Und: Schulen brauchen auch eine weitere Entwicklung ihrer Unterrichtskultur, Unterrichtsformen, die geeignet sind, alle Schüler zu motivieren und zu guten schulischen Leistungen zu bringen.

Wenn man das sozialdemokratische Bildungsziel im Blick behält – mehr Bildung für mehr Kinder – dann fällt auf, daß zum Erreichen dieses Ziels offenbar weniger die Schulform relevant ist als die Qualität des Unterrichtes. Es ist weniger relevant, ob wir Halbtags- oder Ganztagsschulen haben, es ist weniger relevant, ob wir Gesamt- oder Gemeinschaftsschulen haben, ob Haupt-, Realschulen oder Gymnasien.

Es ist letztlich der Unterricht, der es vermag, gerade die leistungsschwächeren Schüler zu fördern, es ist weniger das schulische Setting, die Schulform oder ob Ganztagsschule oder nicht.

Wenn Kinder etwas lernen, liegt es an den Lehrern. Klassengröße, finanzielle Ausstattung der Schule, Strukturfragen – alles zweitrangig! John Hattie stellte 2013 in seiner großen Meta-Studie fest, daß ein guter Lehrer klar verständlich macht, was er von den Schülern will, den Unterricht auch aus der Perspektive der Schüler sehen kann, ein breites Repertoire an didaktischen Mitteln parat hat, ausprobiert und reflektiert.

Das bedeutet, daß Faktoren, die in der Politik und in vielen Medien als wichtig für den Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen angesehen werden, in Wirklichkeit nur einen recht geringen Einfluß hierauf haben. Vielleicht wäre es einfach sinnvoller, den Lehrern mehr Freiraum für die Wahrnehmung ihrer pädagogischen Verantwortung zu geben, die Schulpolitik mehr von den Kindern und Jugendlichen her zu denken und somit letztlich auch den Lehrerberuf interessanter und spannender zu machen.

Was wirkt für den Lernerfolg (und folglich zum Erreichen des Zieles)?

Wirksam für den Lernerfolg von Schülern sind hingegen Maßnahmen, die den schulischen Unterricht diversifizieren, das Lehrerhandeln verbessern und die Schüler durch mehr Aktivitäten und Selbstbestimmung in den Unterrichtsprozeß einbeziehen.

Wenn man also fragt, was im Unterricht denn die Schüler mehr motiviert und fördert, dann stellt man fest, daß es zentral ist, innovative Unterrichtsformen anzuwenden und zu integrieren. Das ist insbesondere bei den naturwissenschaftlichen Fächern der Fall.

Innovative Unterrichtsformen das sind kontextbasierte Ansätze, forschendes Lernen, Lernen mit digitalen Medien, kollaboratives Lernen und extracurriculare Aktivitäten.

Doch auch im Hinblick auf andere Fächer lohnt es sich, vom nach wie vor vorherrschenden lehrerzentrierten Ansatz wegzugehen und solche Methoden zu wählen, die die Schüler stärker in die Unterrichtsgestaltung einbeziehen und aktivieren. Ein Unterricht, der den Schülern die Möglichkeit bietet, Lernprozesse als selbstreguliertes Lernen zu organisieren, fördert den Lernerfolg: Schüler, die aktiv ihr Lernen steuern, können mit besseren Ergebnissen rechnen.

Zurück zum Thema: Was bedeuten die Ergebnisse der Unterrichtsforschung für sozialdemokratische Bildungspolitik?

Wenn wir Schüler aus bildungsfernen und prekären Verhältnissen („PISA-Risikogruppen“) zu Leistungsbereitschaft und schulischen Erfolgen führen wollen, ist die Qualität des Unterrichtes von entscheidender Bedeutung. Das Setting, in dem der Unterricht stattfindet, ist eher nachrangig. Folglich: Ganztagsschulen allein sind kein Garant für eine Verkleinerung des „Bildungsprekariates“. Wichtig ist vielmehr mit den Ansätzen von individueller Förderung und Diversifizierung der Unterrichtsmethoden mehr Schüler paßgenau zu fördern.

Die Hoffnungen, in Gemeinschaftsschulen, in denen die Schülergruppen über einen längeren Zeitraum (Grundschule, Sek I und Sek II) zusammenbleiben, positive Effekte im Hinblick auf den Lernerfolg feststellen zu können, haben sich nicht in dem erwarteten Maß erfüllt.

Eine Ganztagsschule ist nur dann ein Ort erweiterter pädagogischer Möglichkeiten, wenn sie in der Form des „gebundenen Ganztag“ verbindliche Lern- und Freizeitangebote von morgens bis nachmittags aufweist.

Die große politische Aufgabe besteht nun darin, die Schulen qualitativ voranzubringen und deren Schulentwicklungsprozesse zu strukturieren und zu fördern. Dabei dürfen auch die Konflikte mit den Interessenvertretern der Lehrerschaft nicht scheuen, wenn es z.B. darum geht, die Anwesenheitszeit der Lehrer in Ganztagsschulen neu zu definieren.

Für die Bildungspolitik eines Bundeslandes bedeutet das Ziel, die Schulen qualitativ zu entwickeln, die Unterstützungs- und Beratungssysteme  eben darauf auszurichten. Konkret, den Schulen Selbstevaluationsinstrumente zur Verfügung zu stellen, sie bei der Erstellung eines Schulentwicklungsplanes zu unterstützen und sie bei dessen Realisierung stets zu begleiten und zu beraten. Punktuelle Beratung führt nicht zum Ziel! Und: Diese Aussagen gelten für alle Schulen, nicht nur für Ganztagsschulen. Auch Schulen, die nicht im Ganztagsmodus laufen, müssen in ihrer qualitativen Entwicklung unterstützt werden, damit über eine Verbesserung der Unterrichtsqualität der Lernerfolg der Schüler vergrößert wird.

Das nunmehr in der schulischen Pädagogik vorherrschende Konzept der „individuellen Förderung“ bedeutet nicht nur, daß wir „kein Kind zurücklassen“ wollen, also besonders die Schwächeren fördern, nein, es bedeutet auch, sich um die überdurchschnittlich begabten Schüler besonders zu kümmern. Konkret bedeutet das für sozialdemokratische Bildungspolitik, daß wir – angesichts der Tatsache, daß über 40% eines Jahrganges in der Sekundarstufe das Abitur anstreben – die Gymnasien bei unseren Förderprogrammen nicht mehr benachteiligen dürfen. Wir müssen weg von der Defizit-Orientierung der Ressourcenverteilung (à la Bonus-Programmen) hin zu einer sachgerechten Unterstützung aller Schulformen. Wir unterstützen Leistungsbereitschaft und wir sind uns bewußt, daß unser Land nur erfolgreich sein kann, wenn wir kontinuierlich eine wirtschaftliche, technische und kulturelle Elite heranbilden. Sozialdemokratische Politik bedeutet, allen Kindern die Möglichkeit anzubieten, sich mit Leistung zu dieser Elite zu qualifizieren. Wir wollen nicht, daß es einer gesellschaftlichen Elite aufgrund pekuniärer Potenz möglich ist, sich von der Mehrheitsgesellschaft durch Separationsmechanismen grundsätzlich abzuschotten. Wir sollten deswegen auch das „Sonderungsverbot“ des Grundgesetzes endlich ernst nehmen, welches bestimmt, daß Schüler nicht nach „Besitzverhältnissen der Eltern“ sortiert werden dürfen. Wir sollten das diesbezügliche Urteil des Verfassungsgerichtes endlich auch in die politische Praxis übertragen, wonach alle Privatschulen Kindern „allgemein zugänglich sein“ müssen, und zwar „grundsätzlich ohne Rücksicht auf deren Wirtschaftslage“.

Elemente für den Erfolg

Wenn die Forschungen von John Hattie eine bildungspolitische Aufgabe aufzeigen, dann ist es jene, die Rolle und Person des Lehrers in das Zentrum einer erfolgsorientierten Bildungspolitik zu stellen. Je motivierter, je qualifizierter und je professioneller die Lehrer sind, desto größer ist der Lernerfolg der Schüler. Und: Wenn wir in Deutschland nun „individuelle Förderung“ als Prinzip setzen, die Entwicklung von Ganztagsschulen vorantreiben, mancherorts auch Gemeinschaftsschulen einrichten, was eine grundstürzende Änderung im System Schule mit sich bringt, so sollten wir uns auch bewußt machen, daß die Lehrerausbildung dieser Änderung folgen muß.

Ein zentrales Geheimnis des ersten und überraschenden PISA-Siegers 2000, Finnland, war dessen Lehrerausbildung und die an individueller Förderung ausgerichtete Unterrichtsgestaltung. Schon der Beginn der Lehrerausbildung ist in Finnland kompromißlos auf Qualität ausgelegt. Aus der großen Zahl von Bewerbern werden durch ein aufwendiges Testverfahren diejenigen – die wenigen – jungen Menschen ausgewählt, die nach den langjährigen Erfahrungen der Finnen versprechen, die besten Lehrer zu werden. Nach dem Auswahlverfahren können in Finnland nur rund 10% aller Bewerber ein Lehramtsstudium antreten.

Also sollten wir über die Auswahlmechanismen für das Lehramtsstudium nachdenken, auch angesichts der Tatsache, daß uns derzeit und auch noch in absehbarer Zeit, Lehrer fehlen werden.

Es ist dennoch sinnvoll, das Lehramtsstudium anspruchsvoller zu machen und den Lehrerberuf auch attraktiver. In einem ersten Schritt sollten wir einen Test entwickeln, den interessierte Jugendliche im Internet durchlaufen können, um herauszufinden, ob sie für den Lehrerberuf geeignet sind. Die Finnen haben gezeigt, daß so ein Test grundsätzlich möglich ist und somit sollte es uns gelingen, einen Test zur Selbsteinschätzung zu entwickeln, der Aussagen über die Eignung der Interessenten für den Lehrerberuf zu machen. Wer kein Kind zurücklassen möchte, wer keine Schüler mehr aussortieren möchte, der muß bei den Lehrern schärfere pädagogische Maßstäbe anlegen.

Ein weiteres Moment, das den Lehrerberuf interessant zu macht, liegt in der Möglichkeit, den Unterricht nach den Interessen der Schüler, den Möglichkeiten der Schule, den Neigungen der Lehrer und den Lehrplanvorgaben in einem weiten Spielraum kreativ zu gestalten. Dieses Momentum der pädagogischen Freiheit und der professionellen Herausforderung machen den Lehrerberuf für fähige, kreative und anspruchsvolle junge Menschen spannend und  interessant! Diese Menschen finden es eher abstoßend, wenn zu viel Routine in den Unterricht einzieht, das Unterrichtsgeschehen lehrerzentriert ist und sich dann noch als traning-to-the-test entpuppt. Wenn wir mehr Lehrer brauchen, müssen wir auch darauf achten, was den Lehrerberuf qualifiziert und attraktiv macht, uns nicht nur auf materielle Aspekte beschränken oder an Verbeamtungen denken.

Sozialdemokratische Bildungspolitik: Konkrete Ansätze

Sozialdemokratische Bildungspolitik versucht die ungleichen Bildungs- und Lebenschancen von Kindern aus verschiedenen sozialen Milieus anzugleichen. Das gesellschaftliche Umfeld hat sich seit den 1970er Jahren stark gewandelt. Die Gesellschaft ist zu einer Einwanderungsgesellschaft geworden, auf deren Anforderungen auch Bildungspolitik reagieren muß. Die Schule wird zu der wichtigsten gesellschaftlichen Instanz, in der die verschiedenen sozialen Gruppen sich begegnen und das Zusammenleben einüben können. Sie müssen deswegen nach dem Konzept der individuellen Förderung auch in der Lage sein, Kinder und Jugendliche aus höchst unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zu integrieren und zu fördern. Dazu gehören nicht nur eine Förderung des Erlernens der Herkunftssprache, sondern auch eine religiöse Unterweisung in staatlicher Aufsicht und das Erlernen der gesellschaftlichen und rechtlichen Normen des Zusammenlebens in Deutschland. Das ist sicherlich im Rahmen der Ganztagsschulen leichter möglich als in Halbtagsschulen. In den Ganztagsschulen können die verschiedenen Lernprozesse ihren Ort finden, das Lernen von Kompetenzen, „Unterrichtsstoff“ und soziales Lernen. Dazu müssen wir Schule aber als einen Ort gestalten, an dem multiprofessionelle Teams arbeiten. An Schulen arbeiten nicht nur Lehrer, Hausmeister und Schulsekretärinnen, sondern auch Erzieher, Schulsozialarbeiter, AG-Leiter u.a.m. Für alle diese Professionen einen effizienten rechtlichen und organisatorischen Rahmen zu finden und in ausreichender Anzahl zur Verfügung zu stellen, ist eine der Hauptaufgaben der Bildungspolitik der Länder. Sinnvoll erscheint, alle diese Professionen unter die Jurisdiktion der Schulgesetze zu stellen, um dann an jedem Schulstandort die Zusammenarbeit in rechtlich klarer Weise zuverlässig organisieren zu können.

Sozialdemokratische Bildungspolitik sollte alles daran setzen, daß auch in Regionen des demographischen Wandels, die also von Tendenzen der Entvölkerung betroffen sind, Schulen erhalten bleiben und damit auch zentrale soziale Strukturen in kleinen Gemeinden gesichert werden. Hier sollten wir Flexibilität entwickeln und kleine Schulen zulassen, sowie auch Unterrichtsformen, wie sie in Gegenden, die mit ähnlichen Problemen umzugehen haben, schon erfolgreich entwickelt wurden.

Ein weiteres Element sozialdemokratischer Bildungspolitik sollte der Ausbau schulischer Selbständigkeit sein. Dabei ist eine Intensivierung der Kooperation von Schulträger und Schule sinnvoll und notwendig. Mit den Schulprogrammen und Schulprofilen ist ein erster konzeptioneller Schritt gegangen. Aber: Brauchen Schulen nicht mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung in der Personalpolitik? Ist gerade die Personalpolitik nicht entscheidend für die Umsetzung der Schulprogramme? Und haben wir nicht ausgerechnet in diesem Bereich noch viel zu viel zentrale Planung und Lenkung? Wenn wir als ein wichtiges Element schulischer Bildung die Bildung der Kinder und Jugendlichen zu mündigen und aktiven Bürgern unserer demokratischen Gesellschaft ansehen, dann müssen wir auch die Bedingungen und Möglichkeiten schaffen, die genau ein Erreichen dieses Zieles fördern. Das betrifft die Wertigkeit der gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichtsfächer ebenso wie die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur. Wozu auch eine Wiedergewinnung pädagogischer Freiheit für die Lehrer gehört, wie die Entwicklung von Mitwirkung und Entscheidungsmöglichkeiten für die Schüler in Unterricht und Schulleben. Wir sollten Räume zur Entwicklung von Selbständigkeit für Lehrer und Schüler in den Schulen schaffen und darauf achten, daß diese Selbständigkeit nicht durch eine teaching-to-the-test- Unterrichtskultur unterlaufen wird.

„Die Schule der Demokratie ist die Schule“, das Postulat von Willy Brandt ist bis heute nicht allerorts verwirklicht. Die Schule ist jene Instanz, in der der Kinder aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft und aus unterschiedlichen Herkunftsländern integriert werden und auf ein Leben in unserer demokratischen Gesellschaft vorbereitet werden. Umso wichtiger ist es, in die Schul- und Unterrichtskultur endlich die Erfahrungen der verschiedenen Demokratiebildungsprogramme systematisch einzuführen, wie des Bund-Länder-Programmes „Demokratie leben und lernen“.

Ein Engagement des Bundes zur Unterstützung der qualitativen Entwicklung von Schulen ist nicht nur hilfreich, sondern auch notwendig. Darum müssen wir uns nachdrücklich dafür einsetzen, mit einer Grundgesetzesänderung wieder die Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsbereich zu ermöglichen. Ohne eine Unterstützung des Bundes werden viele Länder die materiellen Herausforderungen einer qualitativen Entwicklung der Schulen nicht schaffen.


[1] Die Diskussionen um den Europäischen Qualifikationsrahmen, die sich auch stark auf die deutsche Bildungspolitik auswirkt, lasse ich jetzt unberücksichtigt.

Ein Kommentar zu „Sozialdemokratische Bildungspolitik?

  1. Langer Artikel, nichts Konkretes. Das ist eines der Probleme der SPD: Zurück zur Industriegesellschaft. Tenor: Gute Abschlüsse für Alle! – das ist voriges Jahrhundert. Standardisierung ist (alte) Industriegesellschaft – Digitalgesellschaft heisst Individualität: Abschlüsse abschaffen! Damit jedes Kind das lernen kann, was es auszeichnet und individualisiert, alles andere kann man bei Wikipedia nachschlagen:
    https://www.proschulreformhh.de/
    Und eigentlich gehört dazu die Abschaffung der Schulpflicht und ihr Ersatz durch eine Familien-Interventionseinheit, um alle Kinder in die Schule zu bekommen.

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